Die Haltung des Gastseins

Die erste Regel einer Hausparty: Sei nicht Gastgeber*in.

Diese humorvolle Regel, die in Studierendenkreisen gerne zitiert wird, geht davon aus, dass es besser und angenehmer sein oder zumindest mit weniger Verantwortung und eventuell auch weniger Ärger verbunden sein könnte, wenn man zu den Gästen gehört und nicht zu den Gastgeber*innen.

Andererseits verleiht die Rolle der Gastgeber*in auch eine gewisse Sicherheit und das Privileg, die Rahmenbedingungen und Normen der Zusammenkunft zu bestimmen. Das wirkt sich darauf aus, welcher Verhaltenskodex gilt, wer und was welchen Platz, wie viel Aufmerksamkeit oder wieviel Zeit bekommt und wer eingeladen ist und wer nicht.

Gäste haben sich nach diesen Vorgaben zu richten und auch den Platz einzunehmen, der ihnen zugewiesen wird. Oder sie laufen Gefahr, dass der oder die Gastgeber*in vom eigenen Hausrecht Gebrauch macht.

Kirchlich sind wir es eher gewohnt, dass wir uns in dieser Gastgeber*innenrolle bewegen. Wie sprechen Einladungen aus, wir machen Angebote in der Hoffnung, den richtigen Nerv der Eingeladenen zu treffen, und bestimmen gleichzeitig die Form, die Struktur und die Regeln des Treffens. Auch wer dazugehört, ist darüber geregelt.

Und wenn wir nicht selbst die Räume mit eigenen Veranstaltungen füllen, so haben wir zumindest Räume, die wir großzügig zur Verfügung stellen oder stellen könnten.

Den Projekten auf dieser Seite ist gemeinsam, dass ihnen die Gastrolle durchaus vertraut ist. Das soll nicht heißen, dass die Akteur*innen sich scheuen, Verantwortung zu übernehmen. Sie nehmen die Gastrolle bewusst ein.

Es sind Initiativen oder Gemeinden, die z.T. keine eigenen Räume haben, die sich eingemietet haben oder gar keinen ständigen Aufenthaltsort haben. Sie sind dadurch nicht auf sich allein fixiert. Sie sind „gezwungen“, Kontakt aufzunehmen, sich zu vernetzen, Raumnutzungen anzufragen, Kooperationen und Kompromisse einzugehen. Sie müssen auf die Gegebenheiten des Ortes und den Bedarfen der Besitzer*innen Rücksicht nehmen und sind angewiesen auf deren Planungen.

Sie nutzen ungewöhnliche Möglichkeiten, werden kreativ und lernen flexibel zu agieren. Möbel, Wägen, ja sogar Altäre auf Rollen zu setzen und dadurch verschiebbar zu machen, ist dabei keine Seltenheit.

Sie befinden auf diese Weise ebenso wenig in der privilegierten Lage, Räume zur freien Nutzung zu haben, wie Gruppen oder Initiativen, die im Quartier oder Viertel ebenfalls über keine eigenen Räume verfügen.

Aus diesem Gastsein ergeben sich ganz neue Möglichkeiten:

  • es entstehen Kontakte, die vielleicht vorher nicht im Blick gewesen wären,
  • oder es entwickeln sich Ideen, die so vielleicht nie verwirklicht würden,
  • oder es entstehen Begegnungen, die so nie stattgefunden hätten,
  • und jedes Mal werden Geschichten erlebbar, die staunen lassen und die es wert sind, erzählt zu werden. Warum sich also nicht auch hier immer wieder auf die Spuren dessen zu begeben, von dem in der Schrift häufig erzählt wird, dass er sich einladen ließ und bei vielen ganz unterschiedlichen Menschen zu Gast war.
© 

Featured image: Stefan Weigand