Wie der Tagungsort die Tagungsinhalte verändert
Was passiert, wenn eine Tagung mit wissenschaftlichen Beiträgen nicht in einem kirchlichen Bildungshaus oder an der Uni stattfindet? Die Inhalte verändern sich. Und die Menschen, die sprechen, verhalten sich anders. Der Raum prägt ihre Haltung. Die Tagung „Wohnt Gott in Heiligen Räumen? Biblische Spurensuche und Resonanzen in der Gegenwart“ betrat unter diesem Vorzeichen schon äußerlich Neuland. Sie lud nicht in die „Heiligen Hallen“ der „Katholischen Akademie Domschule“ ein, sondern war zu Gast im „Zentrum für digitale Innovation“ auf dem Hubland. Im dortigen „Ideenlabor“ entwickeln normalerweise junge Firmengründer*innen ihre Projekte . Jetzt dachten hier Teilnehmer*innen einer theologischen Tagung über „Heilige Räume“ nach. Nicht erhöht von einem Katheder oder Vortragspult aus, sondern zwischen Sitzkissen, Hockern und Planungsboards.
Was Räume heilig macht
Klassisch verbinden die meisten Menschen mit „heiligen Räumen“ das, was man in der Religionssoziologie unter „sakrale Räume“ versteht. Sie sind von „profanen Räumen“ durch Schwellen getrennt. Diese Schwellen entscheiden zum Beispiel auch darüber, wer einen Raum betreten darf und wer nicht oder wie man sich dort „angemessen“ verhält und kleidet. Insofern sind „sakrale Räume“ auch ein Ort, an dem Macht ausgeübt wird. Die Bibel erzählt von solchen statischen sakralen Räumen: der Tempel in Jerusalem, Kultorte oder Götterstandbilder. Dann gibt es aber auch „dynamische“ heilige Orte: die Bundeslade und das Zelt als portables Heiligtum, Personen, Berge, die gesamte Schöpfung, der brennende Dornbusch oder auch die Heilige Schrift selbst.
Benedikt Collinet ist Alttestamentler und Religionswissenschaftler. Er hat darüber geforscht, wie statische heilige Räume in ihrer Bedeutung verblassen und wie dynamische heilige Orte ihre Bedeutung behalten, wenn sie immer wieder aktualisiert werden. Bei der Tagung im Ideenlabor ging es ihm schließlich darum, dass in biblischen Erzählungen Gottes bevorzugter Ort die Begegnung mit Menschen ist. Vor allem dort, wo sie nicht mit ihm rechnen oder wo sie nicht zwingend darauf vorbereitet sind. Eine interessante These, geäußert im „Zentrum für digitale Innovation“, mitten in einem Stadtteil, auf dem es keine repräsentativen sakralen Gebäude gibt.
Wo Gott neuerdings wohnt
Gott wohnt nicht nur in sakralen Gebäuden, sondern auch in Landschaften und sogar im Herz von Menschen. Eine Vorstellung, die es in Israel schon lange gab, die in der Botschaft Jesu aber noch vertieft wird. Und er setzt sie ausdrücklich als Kritik an dem für das Judentum zentralen sakralen Raum, dem Tempel, ein. Die Frage „Wohnt Gott in heiligen Räumen?“ mündet bei Jesus in der Tempelkritik und endet für ihn tödlich.
Das Wesentliche geschieht auf der Straße
Wolfgang Baur ist stellvertretender Direktor des Katholischen Bibelwerks und war verantwortlich für die Redaktion des Heftes „Heilige Räume. Tempel – Kirchen – Synagogen“ in der Zeitschrift „Welt und Umwelt der Bibel“.
Bei der Tagung berichtete er über die neue Qualität, die die Frage nach den heiligen Räumen in der Verkündigung Jesu erhalten hat. Das Reich Gottes ist angekommen. Das ist die schlichte Feststellung im ersten Satz, den Jesus im Markusevangelium spricht (Mk 1,15). Damit ist jeder Ort eigentlich heilig. Die Evangelien zeigen Jesus folgerichtig nur ganz selten im Kontakt mit sakralen Räumen. Und wenn dies geschieht, dann entsteht daraus eher ein Konflikt. Jesu neuer heiliger Raum ist die Straße. Mit der sogenannten Tempelreinigung wird die neue Definition der Heiligkeit eines Ortes schließlich in einer prophetischen Symbolhandlung signifikant: „Die Heiligkeit des Ortes bemisst sich nicht am Ort selbst, sondern an dem, was darin geschieht!“, so Wolfgang Baur in seinem Vortrag. Sündenvergebung, Heilungen, Predigten Jesu – all das geschieht nicht in sakralen Gebäuden, sondern auf dem Weg, an Stadttoren, auf freiem Feld, am Seeufer.
Die himmlische Stadt braucht keine sakralen Räume
In den ersten Jahrzehnten des Christentums gibt es auch nicht sofort wieder eine Rückkehr in sakrale Gebäude. Der erste Versammlungsort der christlichen Gemeinden ist das Privathaus. Das Haus als heiliger Raum – ein Modell, das an die griechisch-römische Kultur anknüpft.
Im letzten Buch der Bibel beschreibt der Autor in der Schlussvision von der himmlischen Stadt Jerusalem die ideale Vorstellung des Heiligen Raumes: „Seht, die Wohnung Gottes unter den Menschen! Er wird in ihrer Mitte wohnen und sie werden sein Volk sein; und er, Gott, wird bei ihnen sein“ (Offb 21,3). Und wenige Verse später wird diese Vorstellung dann noch präzisiert: „Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt“ (Offb 21,22). Die Stadt als Ganze ist der Ort Gottes, sein Heiliger Raum.
„Gottes-Profiling auf dem Hubland“
Unter dieser Überschrift und unter den Vorzeichen der biblischen Konzepte machte sich die Tagung mit Christian Bauer auf den Weg durch die Straßen und über die Plätze des neuen Stadtteils am Würzburger Hubland. Im Sinne einer „explorativen Theologie“ erkundeten die Teilnehmer*innen das Gelände und teilten ihre Erlebnisse von der Straße. Was verändert sich, wenn ich nicht mehr aus der Perspektive „von oben“, sondern als „Spaziergänger*in“ nach Gott frage? Seine Präsenz muss nicht länger behauptet oder übermittelt werden, sondern sie wird entdeckt und unterwegs erlebt.